Wie gelingt eine Positionierung durch innovative Nachrichtenformate?
Nachrichten sind der Content der Stunde. Doch lohnt sich ein langfristiger Invest in die News-Sparte? Ja, sagen Alexandra Heinrichs und Jonas Müller von RTL. Doch der Inhalt muss userzentriert sein, und über die bisherigen Nachrichtenformate hinausgehen. Ihre User Insights teilen sie in diesem Beitrag.
Nachrichten geben Sicherheit
Alexandra Heinrichs und Jonas Müller entwickelten im R&D Fellowship ein neues Nachrichtenformat. Beide arbeiten bei der Mediengruppe RTL. Das Unternehmen verkündete kürzlich, dass Informationsangebote seit Beginn der Corona-Pandemie im vergangenen Jahr besonders gefragt seien. Das Inhalteangebot werde seitens RTL NEWS derzeit über alle Plattformen signifikant erweitert, ist in einer Meldung des Medienbeirates zu lesen.
Mit RTL.de betreibt die Mediengruppe eines der größten General Interest Portale in Deutschland. Hinzu kommt die Nachrichtenmarke ntv, die mit ntv.de eines der führenden deutschen Nachrichtenangebote betreibt. Warum haben Nachrichten einen so hohen Stellenwert frage ich Jonas Müller: „Die Pandemie hat dazu sicherlich beigetragen. Die User möchten wissen, wie es in und um die Pandemie steht. Was auf der Welt los ist, aber auch was hier im Land vor sich geht, sei es die Impfstrategie oder aktuelle politische Entscheidungen”. „Wir haben Nutzerinterviews geführt und festgestellt, dass es ein starkes Sicherheitsbedürfnis gibt. Insbesondere beim Nachrichtenkonsum stellen sich die Menschen die Frage, ob es sie oder ihr Umfeld betrifft oder ob sie vorsorgen müssen“, ergänzt die Senior Product Ownerin Alexandra Heinrichs.
Auf der anderen Seite gibt es eine „Corona-Müdigkeit”. Viele Leute vermeiden bewusst Corona-Nachrichten. Für Alexandra Heinrichs ist das ein Aspekt, der mitgedacht werden sollte: „Wir versuchen die Nachrichten hier konstruktiver zu gestalten.“
Was macht News zu lesenswerten News?
Es gibt zwei inhaltliche Aspekte, die für die Attraktivität der Nachrichtenaufbereitung eine Rolle spielen können. Ausgenommen von den klassischen Nachrichtenwerten, die zum Teil negativ konnotiert sind, spielen erstens sogenannte Good-News eine Rolle. Das können im Fall von RTL Nachrichten mit hohem Unterhaltungsfaktor sein, zum Beispiel Nachrichten zu den Serienhits wie „Alarm für Cobra 11" oder „Gute Zeiten, schlechte Zeiten”. Diese Good-News sind insbesondere für Website-Besucher:innen attraktiv, die keine Corona-News mehr lesen wollen. Durch ein breites Spektrum an Nachrichten aus Unterhaltung, Aktuellem und Pandemie kann so ein guter Mix entstehen, an dem auch „coranamüde” User:innen interessiert sind.
Der zweite besonders wichtige Aspekt ist der Mehrwert. Die Nachricht muss für den User bzw. die Userin einen erkennbaren Mehrwert haben. Das gilt sowohl für unterhaltende als auch ernste Nachrichten. Zwar ist der „Mehrwert” auch in der Theorie über Nachrichtenwerte als „Nutzen” enthalten, aber gleichzeitig steht er doch über allem. Denn ohne erkennbaren Mehrwert verliert jegliche Nachricht erheblich an Attraktivität.
Nachrichtenwerte
Im klassischen Journalismus werden Nachrichten nach Relevanz sortiert. Diese Relevanz orientiert sich am möglichen Interesse von User:innen. Die Regel lautet: Umso mehr Nachrichtenwerte bedient werden, umso attraktiver ist die Nachricht für die Konsument:innen. Dazu gibt es verschiedenen Theorien und Publikationen. Einige dieser Nachrichtenwerte sind: Schaden, Nutzen, Prominenz, (räumliche, politische, kulturelle) Nähe, Konflikt, Erfolg, Aktualität und Überraschung.
Ritualisierter Nachrichtenkonsum
„Eine Überschrift mit einem kleinen Teaser reichte oft aus. Gleichzeitig sollte das inhaltliche Spektrum breit sein“, berichtet Jonas Müller über die Inhalte der User-Befragung. Das ist eine interessante Erkenntnis, denn offensichtlich wurden textliche Überblicke präferiert. Eine Startseite mit vielen Bildern kam auf mobilen Endgeräten aufgrund der kleinen Bildschirme schlechter bei den Befragten an. Ein weiterer Aspekt, der sich bei den qualitativen Interviews herauskristallisierte, war der Zeitpunkt des Nachrichtenkonsums. Viele nehmen morgens das Smartphone zur Hand und konsumieren Nachrichten auf diversen Kanälen. „Sie möchten einen schnellen Überblick zum Tagesgeschehen. Im Laufe des Tages nimmt sich dann das Individuum die Zeit, sich mit den Nachrichten intensiver auseinanderzusetzen“.
You got News — Ein Postfach für Nachrichten
E-Mail-Postfächer kennt jeder: Die E-Mail kommt rein — man liest sie sofort, später und in manchen Fällen auch gar. Die Grundfunktion von E-Mail-Postfächern adaptierten die beiden R&D Fellows für ein Nachrichten-Postfach. Darin können Nachrichten markiert oder gespeichert werden. Der User bzw. die Userin kann sich dann, wenn er/sie Zeit hat, die Nachrichten in Ruhe aufrufen und lesen. Löschen wäre natürlich auch möglich. Damit aber nur News im Postfach landen, die die Nutzer:innen interessieren, können diese vorab Themenbereiche auswählen. So kann jeder sein individuelles Nachrichten-Postfach zusammenstellen. „Es war erstaunlich, wie schnell wir während der R&D Fellowships einen Prototyp auf die Beine stellen konnten“, sagt Jonas Müller. Durch die geführten User-Interviews konnte der erste Prototyp dann optimiert werden. So zum Beispiel das Gelesen-Feature: „In den ersten Interviews wurde uns klar, dass die Markierung der gelesenen Artikel mit einem grünen Häkchen missverstanden wird. Ein paar der Befragten hielten es für einen Faktencheck bzw. eine Bestätigung über den Inhalt des Nachrichtenbeitrags. Daraufhin nahmen wir einige Änderungen am Layout der Funktion vor. Ein neues Symbol in Form eines Auges, sowie das Einrücken des Beitrags und das Ausgrauen der Überschrift sorgen nun für eine deutlichere Abgrenzung“.
Durch weiteren Input von Coaches und dem Umfeld entstand so nach acht Wochen ein userzentriertes Postfach für Nachrichten. „Im Tagesgeschäft fehlt häufig die Zeit, um sich bewusst mit innovativen Produkten auseinanderzusetzen und sich in das Projekt einzugraben. Gleichzeitig tut es gut, andere Menschen aus anderen Unternehmen zu treffen. So kommt man aus seiner eigenen Denke mal raus“, beschreibt Alexandra Heinrichs die Zeit im Fellowship. So konnte beispielsweise der emotionale Effekt des Postfaches herausgearbeitet werden: Das Postfach für Nachrichten soll das grundsätzliche Sicherheitsbedürfnis der User:innen bedienen und gleichzeitig den gefühlten Nachrichtenüberfluss eingegrenzt.
Lesen, hören und sehen — News werden unterschiedlich konsumiert
Multimediale Aufbereitungen der Nachrichten sollten nicht unterschätzt werden. Konsument:innen zeigen unterschiedliche Bedürfnisse. Der klassische Text zum Lesen spielt eine Rolle, andere wünschen sich eher ein Audioformat oder Nachrichten als Video. Bei der Themenerstellung sollte die multimediale Aufbereitung mitgedacht werden. „In der Mediengruppe RTL haben wir eine starke Kompetenz was Bewegtbild angeht und die Ausbildung von Journalist:innen erfolgt auch multimedial. Und das merkt man stark. Es sind verschiedenen Aspekte, die bei der Aufbereitung wichtig sind. Zum Beispiel das Storytelling, also wie baue ich eine Geschichte auf. Aber auch Dinge, wie das Vorschaubild oder der Teaser. Und auch Abbindegrafiken und Bauchbinden — alles muss ineinander spielen. Das ist wirklich, auch wenn es sich bei den Nachrichten um kurze Videos handelt, eine ganz eigene Expertise, die man dafür benötigt“, weiß Alexandra Heinrichs.
News-Faktor bleibt attraktiv
Nachrichten haben während der Pandemie ohne Frage an immenser Relevanz gewonnen. Doch irgendwann wird die Pandemie zu Ende sein. Werden Nachrichten dann ihr altes Dasein fristen oder weiterhin eine attraktive Positionierung sein? Für Jonas Müller werden Nachrichten weiterhin eine hohe Relevanz haben, da es noch viele Themen gibt: „Die Klimakrise wird beispielsweise wieder mehr in den Fokus rücken und es gibt weitere politische und gesellschaftliche Themen die aktuell im Hintergrund stehen“. Alexandra Heinrichs ergänzt: „Es geht auch um die Glaubwürdigkeit. Glaubwürdige Absender werden mit Nachrichtenexpertise überzeugen“.
Originally published at https://www.media-lab.de on May 28, 2021.